Stefan à Wengen
Iskender Yediler – Allmüll
Während im Mittelalter und zu Luthers Zeiten der Affe noch als Teufelstier galt, ist er seit der Renaissance zur Allegorie der Kunst, respektive zum Künstler nobilitiert. Doch fangen wir von vorne an: Die Geschichte beginnt vor vier Millionen Jahren, als eine Gruppe Affenmenschen mit einem schwarzen, geheimnisvollen und wie aus dem Nichts aufgetauchten Monolithen konfrontiert wurde. In einer der eindrucksvollsten Szenen der Filmgeschichte schleudert der nun neu entstandene homo faber einen Knochen, mit dem er zuvor den Anführer einer fremden Gruppe erschlagen hatte, triumphierend gen Himmel.1
Mit dieser Szene veranschaulicht Stanley Kubrick in seinem Science-Fiction „2001: A Space Odyssey“ nicht nur die Menschwerdung und deren Prädestination ihrer Überlebens- und Dominanzstrategien, sondern – nun als Krone der Schöpfung vermeintlich privilegiert – auch deren künftige Ausbeutung jedweder Ressource von Mensch und Tier, dem Raubbau an der Natur und dem stetig expandierenden Begehren ihrer Präpotenz auch im Weltall.
Viel später, im Jahre 1978, entdeckte der Nasa-Wissenschaftler Donald J. Kessler erstmals eine Dynamik im Asteroidengürtel mit kleinen Himmelskörpern, die stets aufeinander prallen. Er übertrug dieses Phänomen auf Weltraumschrott, dessen im Orbit umherschwebende Objekte derzeit auf etwa 30.000 Teile gezählt werden kann; der Menschheit größte Müllkippe. Seit dem Start der Sputnik, dem ersten künstlichen Himmelskörper, am 04. Oktober 1957, haben die Raumfahrtnationen tausende Satelliten und Sonden, einhergehend mit Unmengen von Abfall wie abgebrannte Raketenstufen, Bolzen und andere Kleinteile, im All hinterlassen.
Iskender Yedilers Allmüll-Skulpturen beflügeln nun die Vorstellung, jenseits romantischer Ideen, dass auf unserer Umlaufbahn reichlich schwebende Kleinteile, wertvoller Schrott, ihre regelmäßigen Bahnen ziehen. Die anfänglich vom Urmenschen durch einen kargen Knochen indizierte Handhabe zu Macht, Dominanz und Herrschaft, zeigt uns Yediler nicht nur bei seinen in Bronze und in Aluminium gegossenen Oberschenkelgebeine eines Thai-Rindes, die womöglich, bezüglich Kubricks Film, als Stellvertreter eines Tapirknochens gelten.
Das Abgießen und dadurch Vervielfältigen von Objekten hat in der Kunstgeschichte eine lange Tradition. Picassos Skulptur „La guenon et son petit“2 beispielsweise, führte schon 1951 vor, wie zusammenmontierte und danach abgegossene Alltagsgegenstände zu etwas ganz anderem verschmelzen können; zwei Spielzeugautos, die Henkel eines Tonkruges und zwei Gipskügelchen bilden zusammen den Kopf einer Pavianmutter (sic!). Iskender Yediler geht jedoch noch einen Schritt weiter; seine Weltraumschrott-Skulpturen aus Aluminiumguss sind gleichsam ironisch künstlerische und gleichzeitig kritisch geschaffene Objekte. Sie wurden vor ihrem Guss aus Noppenfolien, Pappschachteln und -rohren, abgebrochenen Flaschen, Spraydosen und dergleichen mehr Zivilisationsmüll zusammengesetzt, deren Herkunft Yediler als ein „Abfallergebnis“ unseres Fortschritts darstellt; verschmolzen und zusammengeschweißt, zerknüllt und zerknautscht, gleichsam so wie es die Kräfte des Orbits und das Herunterrasen auf die Erde geformt haben könnten.
Kurzum, der einst vor vier Millionen Jahren hochgeworfene Knochen fällt nun, im 21. Jahrhundert, als verformte, deformierte und zerbeulte Metallmüllknäuel auf unsere Köpfe zurück. Vielleicht erklingt dabei erneut im Hintergrund, als leises Echo, Richard Strauss’ „Also sprach Zarathustra“.
Iskender Yediler wurde 1953 als Sohn tatarischer Eltern in Eskisehir, Türkei, geboren. Von 1972 – 1974 besuchte Yediler die Fachoberschule für Gestaltung in München, danach, von 1974 – 1979, die Fachhochschule für Gestaltung in München mit Abschluss als Diplom Graphik Designer. Von 1981 – 1983 bemühte Yediler das Bildhauereistudium an der Akademie der Bildenden Künste in München bevor er von 1984 – 1987 die Staatliche Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Ulrich Rückriem besuchte. Iskender Yediler lebt und arbeitet heute in Berlin.
1 „2001: A Space Odyssey“, 1968, basiert auf der Kurzgeschichte „The Sentinel“ von Arthur C. Clarke. Sie sollte ursprünglich „Journey Beyond The Stars“ heißen. Der Science-Fiction-Film entstand unter der Regie von Stanley Kubrick.
2 Pablo Picasso; „La guenon et son petit“, 1951, Bronze, 53 x 33 x 61 cm, Sammlung Im Obersteg, Depositum im Kunstmuseum Basel.
Stefan à Wengen, 2014